Zum 30. Pflege-Recht-Tag: Gedanken aus dem FachWerk
Bereits zum 30. Mal fand im Rahmen des Kongress Pflege der Pflege-Recht-Tag statt. Ins Leben gerufen wurde er, da im Pflegesektor in Bezug auf rechtliche Fragen große Unwissenheit herrschte und unter dem Pflegepersonal der Wunsch nach mehr Aufklärung größer wurde. Hat sich diese Unsicherheit in den letzten 30 Jahren wirklich grundlegend verbessert? Im Bereich Pflege-Recht hat sicherlich jeder von uns schon einmal Erfahrungen sammeln dürfen, sei es aufgrund pflegebedürftiger Angehöriger, oder als Pflegepersonal selbst. Anlässlich der Thematik des vergangenen Wochenendes haben wir mit unseren Dozentinnen für Alltagsbegleitung und Pflege - Frau Anna Xavier und Frau Ramona Jansie-Pater - über ihre Erfahrungen gesprochen. Wir haben uns dabei auf drei Punkte beschränkt: „Schweigepflicht“, „Pflege-Charta“ und „Vereinbarkeit von Theorie und Praxis“.
Als examinierte Pflegefachkräfte haben unsere beiden Dozentinnen natürlich schon einiges in ihrem beruflichen Alltag erlebt und fanden sich auch mit dem Thema „Recht“/„Pflege-Recht“ konfrontiert. „Die Schweigepflicht ist in unserer Branche ein großes Thema“, steigt Frau Xavier ein. Bei der Thematik Schweigepflicht gibt es viele feine Abstufungen, die einzubeziehen sind, um dann die möglichst richtige Entscheidung zu treffen, bei der das Pflegepersonal im Nachgang nicht belangt werden kann. Die Gründe dafür sind vielschichtig und bedarf einige Beispiele. Beispiel 1: Eine ältere Frau wird ins Krankenhaus eingeliefert und nach der Untersuchung ist die Patientin immer noch nicht ansprechbar. In der Zwischenzeit treffen die Kinder der Dame ein und fragen nach ihrem Zustand. Aus emotionaler Sicht, möchte das Pflegepersonal natürlich so schnell wie möglich für Klarheit in der Situation sorgen, wenn jedoch keine Schweigepflichtentbindung – egal ob mündlich oder schriftlich – vorliegt, befindet sich das Pflegepersonal schnell in einem Dilemma. Beispiel 2: Polizisten wollen sich aufgrund einer Befragung nach dem Gesundheitszustand eines straffällig gewordenen Jugendlichen erkundigen. Einerseits ist es natürlich notwendig eine Aussage darüber einzuholen, ob eine Vernehmungsfähigkeit gegeben ist oder eben nicht, andererseits darf das Personal ebenso wie bei der Dame keine Aussagen treffen, wenn keine Schweigepflichtentbindung vorliegt.
Die Pflege-Charta soll das Pflegepersonal daran erinnern, welche Rechte die zu pflegenden Menschen haben. Das sind: Selbstbestimmung, Schutz und Sicherheit, Privatsphäre, die richtige Pflege und Behandlung, Information und Beratung, Teilhabe, Religion und Lebensart und Sterbebegleitung. Dies führt uns direkt zu unserem dritten Themenschwerpunkt „Vereinbarkeit von Theorie und Praxis“: Denn auch wenn das Pflegepersonal alle Punkte einhalten möchte und nur das Beste für die Patienten/Klienten möchte – manchmal lässt der Fachkräftemangel oder ein hoher Krankenstand dies nicht zu.
In einer solchen Situation hat sich Anna Xavier in einem Praktikum befunden. Es wurde sich entschieden, die Pflege-Charta zu beachten, auch wenn sie sich dadurch im rechtlichen Graubereich befunden hat. Denn als Praktikantin durfte sie damals eigentlich noch keine pflegerischen Tätigkeiten alleine ausführen. Die Patientin hat aber vorher angegeben, dass sie nicht von einem Mann gepflegt werden möchte – was also tun, wenn aufgrund von Personalmangel und hohem Krankheitsstand keine andere weibliche Pflegerin dabei war, außer der Praktikantin? „Das war schon eine sehr schwere Situation. Aber am wenigsten wollten wir, dass sich die Patientin unwohl fühlt und haben uns dazu entschieden, der Pflege-Charta in der Wichtigkeit eine höhere Bedeutung zu geben, als der deutschen Rechtslage. Zum Glück war es nur eine leichte pflegerische Tätigkeit.“
Frau Jansie-Pater wirft ein: „Im Unterricht gibt es zudem ein Thema, das immer wieder diskutiert wird und bei dem die angehenden Alltagsbegleiter ihre Unsicherheit nie zu verlieren scheinen: freiheitsentziehende Maßnahmen bei Menschen mit Demenz oder dementiell veränderte Menschen. Auch unter dem ausgebildeten Pflegepersonal ist dies ein schwieriges Thema, denn natürlich dürfen die Türen nicht abgeschlossen und die Bewohner nicht festgehalten werden.
Was ist also das Fazit? Das Pflegepersonal trägt ohnehin schon eine sehr hohe Verantwortung. Dass sie sich mit den rechtlichen Themen darüber hinaus auseinandersetzen müssen, kann psychisch sehr belastend sein und eventuell den einen oder anderen Auzubi verschrecken. Unsere Dozentinnen hoffen, dass ein Weg gefunden wird, wie sich das Pflegepersonal in keinem Zwiespalt rechtlicher Natur wiederfinden muss, wenn es einfach nur gewissenhaft und im Sinne des Patienten handelt. Insofern ist für den Kongress Pflege noch einiges zu tun. Das Pflegepersonal braucht in diesen Fragen Sicherheit und eventuell einen Katalog an Verfahrensanweisungen und Verhaltensvorschlägen, den gerade Berufseinsteiger bei Bedarf zu Rate ziehen können.